von innen

Über die Isolation des Anteiligen

Ich bin eine davon.

Ich bin eine dieser kleinen Teile, die in begrenzten Wahrheiten versucht ihren mehr oder weniger selbst gewählten Aufgaben nachzugehen. Ich bin eine davon, die aus kleinen Bruchteilen heraus unterrichtet wurde. Viel zu lange denke ich schon in diesen kleinen Facetten mit scharfen Bruchkanten. Nicht alle lassen sich schön zusammenlegen. Manche scheinen sogar das mühsam gebaute Teilbild, durch das ich mein Umfeld betrachte, zu stören.

Es ist eine zersplitterte Ganzheit.

Unsere Welt, unser Denken, unser Fühlen,… so vieles, so hab ich immer mehr das Gefühl, ist in gewisser Weise zerrissen und kämpft für sich um ihre Berechtigung. Einzeln betrachtet hat alles Berechtigung. Wie könnte es auch anders sein, wenn das alles Bruchstücke zu sein scheinen. Würde man dann einen davon als fehlerhaft rauspicken? Wohl nur, wenn man nie vor hat, das große Bild zusammen zu fügen. Könntest du die Teile, deren Form und Farbe du (noch) nicht zuordnen kannst, einfach liegen lassen, bis zu dem Zeitpunkt, wo genügend Teile zusammen gefügt sind um zu erkennen, wo die scheinbar so unpassenden dazu gehören könnten?

Viel öfter zerreissen wir in unserer Ungeduld alles noch weiter.

Weil wir es endlich verstehen wollen. Und wenn wir es nicht einordnen können, macht es uns meist Angst. Wir sind es schon so gewohnt in Bruchteilen zu leben, welche uns als vollständig angepriesen wurden. Wir versuchen diese für uns zu sondieren und für wesentlich oder unwesentlich, für wahr oder unwahr, für gut oder böse zu entlarven. Es bleibt kaum Zeit, Unbekanntes mal einfach da sein zu lassen. Schnell sollten wir alles stimmig verarbeiten und unter ein konstruktiven Ziel setzen können.

Das ist kein Joke(r)!

Vor wenigen Tagen wurde ich dazu überredet *Joker* im Kino anzuschauen. Da bereits der zweite Teil lief, kaufte ich den ersten und schaute ihn, bevor ich mich im Anschluss ins Kino setzte.

Ich muss sagen, ich gehe selten ins Kino und versuche mich nicht unnötig mit brutalen Inhalten zu konfrontieren, denn die Welt wirkt so und so schon oft genug brutal auf mich. Ich sah in Arthur Fleck – so heisst der Hauptdarsteller im Film – ganz viel unserer aktuellen Zeit. Einen Menschen, der seine ganz individuelle Erfahrung gemacht hat und vieles davon, nicht wählen konnte. Er versucht in der Welt, die ihn umgibt, zu bestehen. Das zu schaffen, was in Wirklichkeit ihn immer wieder aufs Neue in die Knie zwingt. Eine Welt die mit dem Finger auf das Sonderbare an ihm zeigt und sich lustig macht drüber. In ihm entpuppt sich nach fortlaufender Triggerung von Verletzung und Frust eine Seite, die aufgebärt, die nichts mehr zu verlieren zu haben scheint. In dem Moment, wo sich daraus eine Figur entwickelt, die zurück schlägt, erhält Arthur erstmals Aufmerksamkeit und Nachahmer. Plötzlich wird er bejubelt und gefeiert. Im zweiten Teil – der sehr starke Kritik von seinen Fans abbekam – kippt dieser Hype, viel Unverständnis für die Figur und genauso für den Film wird ausgelöst. Ich fragte mich warum? Ok, ja, es gibt viele gesungene Parts, bei denen nicht die gesangliche Leistung im Fokus steht, sondern, so empfand ich, der Ausdruck dessen, was an Emotionen hoch gefeuert wird. Nach einer kurzer Zeit konnte ich mich drauf einlassen und mir erschien dadurch das Innenleben der Figur viel greifbarer.

Das Für sieht auf nur einem Auge, das Gegen auf dem anderen.

Ich war sehr bewegt, von der künstlerischen Umsetzung, der immer erneuten Versuche der Figur mit Verletzung und Frust umzugehen und dessen Ausdruck zu finden. Spannend fand ich auch, dass der Film einem wiederholt in die puschenden und herabwürdigenden Handlungen des Aussens auf Arthur mitnimmt und das Hoch und Tief der Emotionen gekonnt skizziert. Und hier sehe ich sehr viel Parallelen zum aktuellen Zeitgeschehen: Dieses Für oder Gegen. Beide Seiten, so scheint es am Ende, such(t)en ihren Ausdruck im Anderen und feier(te)n ihn dafür oder ließen ihn untergehen. Sehr schnell kann so Euphorie oder Abwehr entstehen, als Antwort auf vermeintlich die guten oder nicht so guten Handlungen dort draussen. In Wahrheit ist die Ursache wohl mehr im Inneren jedes Einzelnen zu finden, die persönlichen Erwartungen, die Abneigungen und Sehnsüchte, all das was wir in uns verstecken und vergraben wollen und plötzlich da draussen gefunden wird. Dann wollen diese dementsprechend bejubelt oder abwehrt werden. Sogar die Reaktionen auf den zweiten Teil, die Erwartungen nach einem gefeierten ersten Teil und die Enttäuschungen auf das, was man denkt zu bekommen, führen dieses Spiel von Licht und Schatten fort. Am Ende geht es wohl viel mehr um enttäuschte Hoffnungen – im Film genauso, wie durch den Film – und diese haben eine fast erschreckend ähnliche Konsequenz auf Menschen: jene, die gerade noch Begeisterte waren und schlagartig zu Vernichtenden werden können. Tragisch spannend und hoch interessant, so finde ich.

Was richtig ist.

„Das System, das so viel weiß. Ihr entscheidet, was richtig oder falsch ist. Ganz genau wie ihr entscheidet, was witzig ist und was nicht. Absolut alles ist furchtbar in diesen Tagen. Da kann man ja gar nicht anders, als verrückt zu werden… Wenn ich es wäre, der auf dem Gehweg krepiert, würdet ihr alle drüber steigen. Ich komm täglich an euch vorbei und ihr bemerkt mich nicht. Niemand denkt daran, wie es sich anfühlt der Andere zu sein.“

Zitat aus dem Film JOKER

Das ist das Empfinden der Figur, die letztendlich weder im Jubel noch in der Hetze zu Hause ist und am Ende sogar ihren vermeintlichen Rettern entflüchtet. Die Vernichtung war sie gewohnt und zum Ende ist sie ihr wohl vertrauter, als der Jubel. Beide Polaritäten, die jeweils am anderen Ende einer subjektiven Wahrnehmung stehen, werden zu Verzerrungen der Realität. Der eigentliche Mensch kann nur in der Mitte aller Wetterspitzen gefunden werden und nur, wenn wir aus dieser mittigsten Stelle heraus zu sehen zu vermögen, können wir beginnen zu verstehen, was noch nicht zuordenbar ist.

Der Blick durch das Vorliebenteleskop

Das was sich uns gerne eröffnen möchte, bleibt uns oft verwehrt, weil unsere Vorliebe ihre Blickrichtung schon eingestellt hat. Und nicht nur das. Wir kreieren mit jedem einseitigen Fokus immer mehr Einzelteile, schlagen immer weitere Brüche, welche aussortiert am Rande des Auserwählten liegen und uns immer weiter abhanden kommen, für das, was wir letztendlich möchten: gesehen zu werden – ganz! Nicht für unsere Schatten angeprangert zu werden, sondern diese maximale als Wegweiser zurück in unsere Erfahrungen erkannt zu wissen.

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