Beobachtungen eines Sommerurlaubs 2022. Eine Welt, vom Menschen aus dem Gleichgewicht gestoßen.
Als ich so umher blickte, am Strand in Dänemark, genauso wie in Schweden und an der deutschen Seite der Ostsee, da wo ich einige Wochen unterwegs sein durfte, sah ich eine Natur aus dem Gleichgewicht geraten. Tierkadaver von Robben und großen Seevögeln, Spuren von Öl entlang der Strände, Wassertemperaturen wie im Mittelmeer und Menschen die daran vorbei hasten – hin zur Sehenswürdigkeit, die ihnen Google zuvor vorschlug. Handys werden gezückt. Eine Runde schön gelächelt. Die Frisur zurecht gelegt, kurz sich gegenseitig den Arm über die Schultern gelegt und: ein Foto, ein weiteres und fertig. Dann lässt man sich eilig zum nächsten Punkt, der auf der Liste steht, navigieren.
Der Dreck, der dabei vergessen wird, von Angestellten der öffentlichen Anlagen weg gezaubert. Dort jedoch, wo keine Anlagen, Ferienhäuser oder Hotels stehen, dort kann man den Müll, den die Hastigkeit hinterlässt, bestaunen. Kein Foto zeigt das.
Der Jungvogel, dem die Schwanzfedern ausgerissen wurden, er eignet sich wunderbar als Fotoobjekt. Kann er doch so schnell nicht davon. Ob ihm was fehlen könne? Diese Frage taucht anscheinend erst gar nicht auf. (Wir haben ihn vor Fotolustigen mit neugierigen Hunden vor sich herlaufend abgeschirmt und uns durch dänische Hilfe-Hotlines geschlagen. So konnten wir den süßen Kerl dann zu einer Pflegestelle fahren.)
Ich komme natürlich auch mit schönen Erinnerungen von tollen Plätzen und netten Begegnungen nach Hause zurück, jedoch auch mit vielen Szenen die mich nachdenklich stimmen, mich Irritation und Traurigkeit fühlen lassen. Wer ließ uns Menschen glauben, dass uns alles zur Verfügung steht? Alles da ist, um sich endlos daran zu bereichern? Und dabei kommen wir nicht einmal auf die Idee, etwas zurück zu geben? Wenn es dem späteren Mehr an Ernte dient, vielleicht.
Eine langsam wachsende biologische Landwirtschaft, einzelne Vorreiter für ein biodynamisches System und langsam zu begreifen, welch Irrsinn Monokulturen sind, scheint einfach noch zu wenig.
Wieso kommen so Wenige auf die Idee, dass hier etwas nicht stimmt, selbst wenn um uns herum alles schon schreit? Landwirtschaft die hauptsächlich auf Ernteerträge schaut, Touristen aufs Wetter und den Preis, Hotels auf ihre Lage, egal was dafür Platz machen muss. In allen Bereichen, so scheint es mir, geht es lange schon nur mehr um Gewinne.
Auf den Urlaub und die Freizeit bezogen, wollen wir die schönsten Naturplätze besuchen, sind aber selten bereit, diese zu schätzen und zu würdigen. Wann achten wir darauf, wie es der Natur gerade geht? Wie wir uns eingliedern können, ohne zu stören oder gar etwas zu ruinieren? Selten.
Wir werden früh in eine Richtung gelenkt – bzw lassen uns lenken, bis wir es als normal ansehen den Fokus auf jene Fragen zu richten: Was kann ich davon haben? Wieviel kann ich bekommen? Dabei geht es vor allem um Konsum.
Wir konsumieren die Welt.
Nach langer Ausbeute, nach vielen Gewinnen, wird nach weiteren Gewinnen gestrebt. Doch: die Böden sind ausgezehrt, Tiere vergiftet und ihrer Welt beraubt. Einer Welt, die unser aller ist. Es gibt sie nicht, die Welt die wir auslaugen können und als Müllplatz verwenden, uns sie zurecht schnitzen wie eine schöne Figur, die getrennt ist von der Welt, die wir und alle anderen Wesen zum Leben brauchen.
Es ist ein und die selbe Welt.
Und deswegen wohl, beginnt diese eine Welt zu kippen. Sie übergibt sich. Aber wir sehen das schlechte Wetter, das unsere Böden überschwemmt oder sie austrocknet. Wir sehen den Ernteverlust, den Schädlingsbefall, das Baumsterben, den Verlust der Seestraßen und beginnen, lange verzögert, unkoordiniert zu einem Ausweg zu rudern.
Kommt die Einsicht rechtzeitig?
Da bin ich mir nicht sicher. Solange es noch um Gewinne geht und wir uns selbst als wichtigstes Wesen auf Erden ansehen, solange wird es kein Verständnis fürs Andere geben. Wenn wir leiden, ist es tragisch. Alles andere Leid im System Natur zum Beispiel, ist aber erst dann tragisch, wenn wir dadurch selbst eingeschränkt werden. Eine Empathie, die den Eigennutz als Voraussetzung braucht.
Die Einbahn zum menschlichen Gewinn muss sterben, damit es zu einem gesünderen und vor allem zusammenwirkendem Prinzip kommen kann: ein Nehmen, das ein Geben voraussetzt.
Nichts zu nehmen, ohne gleichzeitig und ganz selbstverständlich etwas zurück zu geben. Weg vom Bekommen und Haben, hin zu einem Ausgleich. Müssten wir dann nicht mal eine ganze Weile nur Geben um das jahrelange Nehmen wieder wett zu machen?
Seit langer Zeit gibt es endlosen Entnehmen von Ressourcen mit einer Selbstverständlichkeit, dass man gar nicht mehr erst drüber nachdenkt. Dieses Minus auf der einen Seite, fällt uns jetzt auf den Kopf. Viele sehen anscheinend noch nicht, dass der Boden auf den wir stehen, der gleiche ist, der uns trägt. Und wenn diese Einsicht nun langsam kommt, was fühlen wir dabei?
Kann es eine Wende sein?
Eine Wende von der Art, die unsere Ahnungen noch gar nicht aufmalen können. Man fühlt sie jedoch schon. Aber wie es sich dann wirklich abzeichnet, bleibt eine offene Frage. Eine offene Frage, deren Antwort wir womöglich in blinden Vergangenheiten unbewusst kreierten. Eine Antwort, die schon wo existiert und nun heftig auf uns zufällt.
Ich glaube aber auch daran, dass jeder Moment, sei er noch so lange schon provoziert gewesen, eine gewisse Zahl an Möglichkeiten des Zutuns in sich birgt. Ein Mitgestalten-Können. Ein Reagieren-Können oder besser ein Mit-Agieren.
Eine Unwucht hat auch Gutes. Sie fordert auf ein neues Gleichgewicht herzustellen. Sie erzeugt so lange Chaos bis eine neue, passendere Stabilität gefunden werden kann oder das alte System wird zerrissen und es muss durch ein völlig neues ersetzt werden.
Eine Energie die auf einen zukommt, kann abgewehrt oder angenommen, weder noch oder beides zusammen werden und auch umgelenkt. Umgelenkt oder genutzt. Umgelenkt und genutzt. Energie ist Kraft. Kraft, die je nachdem wo sie landet, Schaden, Dellen oder Energie erzeugt. Womöglich eine unausweichliche Melange aus allem. Und womöglich bleibt ein Bruchteil dieser Kraft übrig, um weitergeleitet, ja sogar genutzt werden zu können, um zu stoppen, um zu klären, um zu erneuern.
Die Welt beginnt zu kippen. Um die eigene Achse taumelt sie. Am Mittelpunkt, so hoffe ich, bleibt sie fest verankert. Taumelt. Schwingt. Schwankt. Und beruhigt sich – irgendwann, danach – hinein in ein neues Sein.